Kolumne: Hei, hallo, dingens…
Autor: Provinzpapst
Jemandem begegnen, überschwänglich begrüßen, ohne sich an dessen Namen zu erinnern, noch überschwänglicher herumrudern, unverständliches Zeug murmeln, sich umdrehen und blind vor Peinlichkeit gegen die nächste Laterne laufen – ist ein schlechtes Namensgedächtnis Schicksal oder heilbar?
Mein Vater hatte zehn Geschwister, meine Mutter drei. Alle haben geheiratet und Kinder bekommen. So konnte ich mich darüber freuen, schon in der Verwandtschaft ersten Grades 78 nähere Verwandte zu haben, die enge Familie ausgenommen. Mein Namensgedächtnis hat mir darum schon früh die Kapitulation angeboten. Ich habe angenommen und der verbliebene Hohlraum hat sich mit Frischluft gefüllt. Ein grundsätzlich akzeptabler Gesundheitszustand, den ich mit allen anderen Männern teile, wie meine Frau zu berichten weiß. Tatsächlich begrüßen sich Männer gerne mit einem Klaps auf den Bauch oder Hinterkopf, wenn sie sich nicht an ihre Namen erinnern können, also immer. Aber: „Name ist Schall und Rauch“ sagte schon …äh…wie hieß er noch gleich…
Schon in der Schule vermied ich es, Mitschüler oder -schülerinnen namentlich zu verpetzen. Ich zeigte mit dem Finger auf sie und rief: Der da wars! Oder: Die da wars! Damit gab ich ihnen auch die Möglichkeit, mein Verhalten nicht persönlich zu nehmen, die sie aber meistens nicht wahrnahmen. Mit der Zeit konnte ich feststellen, dass ein Leben ohne jede Namensnennung möglich ist. Meine Freundin nannte ich Schatzi oder verwendete willkürlich Begriffe aus der Tierwelt wie Hasi, Mausi oder Hamsterchen. Diese Namensersatzbezeichnungen werden aus bekannten Gründen von allen Männern genutzt und sind inzwischen auch im Berufsleben weit verbreitet. Die Standesämter denken daher darüber nach, bei Frauen ganz auf die Namensgebung zu verzichten.
Es hat sich zu einer geradezu zwanghaften Unsitte entwickelt, allem einen Namen zu geben. Hätte man stattdessen Zahlen genommen, wäre unsereins in der Lage, am Schalter sagen zu können: Ich hätte gerne eine Fahrkarte nach 12. Und wäre damit deutlich häufiger am Zielort angekommen. Menschen eine Nummer oder einen Begriff zu geben, ist anscheinend ebenso verpönt. Zum Glück werden inzwischen Workshops angeboten, die es mir und meinesgleichen erlauben, mit der Problematik besser umzugehen. Hier habe ich gelernt, anderen das Gefühl zu geben, sie mit Namen anzusprechen. Der Trick ist, Laute mit weichen Konsonanten zu bilden, die mit unklaren Vokalen verbunden werden und die so entstandene Lautmalerei zwar selbstbewusst, aber unverständlich zu murmeln. Hallo, Frau Husnbomer. Oder: Guten Tag, Herr Broselmasn. Wichtig ist, die Laute schnell zu flüstern, hinten sacht ausklingen zu lassen und sich anschließend zu räuspern, um das Gefühl zu vermitteln, nicht mehr Herr der eigenen Stimmbänder zu sein. Ich kann den Kurs Betroffenen nur wärmstens empfehlen, wir treffen uns jeden Dienstag abend in der …äh… Dingsstraße da, wie heißt sie, na ja, das ist eben der Kurs von Frau äääh, die Sie wissen schon, die Schwester von dem dingens, der da in… wie heißt es noch, Moment ich frag mal meine Frau:
“Sag mal, Schnecke, wie heißt noch die Schwester von deinem Bruder?
Ach ja, natürlich. Den Kurs gibt meine Frau… Viel Spaß.”