Glosse: Nicht öffentlich!

Autor: Provinzpapst

29. Mrz. 2021

(Hier gibt es den Artikel auch als PDF zum Download, Ausdruck und Weiterreichen für Mitbürger/innen, die keinen Zugriff auf das Internet haben oder haben möchten)

Die Gemeindevertretung Heikendorf hat schon vor vielen Jahren die Vorteile nicht-öffentlicher Sitzungen entdeckt. Nach geheimen, undurchschaubaren Kriterien bleibt die Öffentlichkeit bei der Verhandlung vieler Tagesordnungspunkte (im Nachfolgenden TOP genannt) vor der Tür. Im Ort wird spekuliert, was hinter den geschlossenen Türen der Gemeindevertretungssitzungen vor sich geht: Kungelei, Waffen- und Drogengeschäfte, Hundetraining, Ping-Pong, Turmspringen, Seniorenbingo, oder gar eine Malefiz-Meisterschaft?

Man weiß es nicht. Denn strikte Geheimhaltung aller Teilnehmer der nicht-öffentlichen Sitzungen bzw. TOP ist Pflicht.
Halten wir uns also zunächst an die Tatsachen:

Wer bürokratische Regeln aus dem Küchentopf der Kommunalpolitik langweilig findet, darf gleich nach vorne zum vergnüglichen Teil springen. Verständlich, denn was sich hier offenbart, ist wahrhaftig von tödlicher Langeweile. Allerdings auch ein seit Jahren erfolgreich eingesetztes Mittel, den Demokratiebegriff phantasievoll zu erweitern.

Also: Für eine Sitzung eines Ausschusses oder der Gemeindevertretung legt der Ausschussvorsitzende (bei einer Ausschusssitzung) bzw. Bürgermeister (bei einer Sitzung der Gemeindevertretung) beizeiten eine Tagesordnung vor. Von Rechts wegen sind alle angesetzten Tagesordnungspunkte ursprünglich öffentlich zu behandeln.
In der Heikendorfer Kommunalpolitik geht man diese starre Gesetzgebung flexibel an. Denn die einzelnen TOP sind schon von Anfang an in „öffentlich“ und „nicht-öffentlich“ unterteilt. Allerdings sind das nur VORSCHLÄGE des Ausschussvorsitzenden bzw. Bürgermeisters. Als TOP 1 einer jeden Sitzung wird dann darüber abgestimmt, ob diese Vorschläge so angenommen werden.

(Wer mag, darf sich an dieser Stelle in Ruhe die eine oder andere Sitzungsplanung zu Gemüte führen.
Hier kann sich der interessierte Bürger darüber informieren, wie oft es in der Vergangenheit bei TOP 1 einer Sitzung es überhaupt eine einzige Gegenstimme gegeben hat, geschweige denn eine Änderung. Dazu später mehr
😊)

Es KÖNNTE jetzt REIN THEORETISCH Folgendes geschehen:
Nach öffentlicher Verkündigung der einzelnen TOP zu Beginn der Sitzung meldet sich ein/e Gemeindevertreter/in, der/die mit den Vorschlägen nicht einverstanden ist und möchte einen nicht-öffentlichen in einen öffentlichen TOP gewandelt haben.

Grundsätzlich sind, wie gesagt, alle TOP öffentlich. Wenn es also nun bei der Gemeindevertretungs- oder Ausschusssitzung  mit rechten Dingen zuginge, müsste nach § 35 der Gemeindeordnung darüber abgestimmt werden, ob dieser TOP denn nicht-öffentlich behandelt werden sollte.

Über diese Änderung darf dann auch nur nicht-öffentlich beraten werden.

Jetzt wird es turbulent. Denn jetzt muss der öffentliche Teil der Sitzung beendet werden. Das Publikum darf sich auf unbestimmte Zeit draußen die Beine vertreten, Lieder singen, betrinken und Pläne für die Zukunft schmieden. Drinnen wird nicht-öffentlich, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, aber natürlich ergebnisoffen und mit Leidenschaft über den Antrag diskutiert und dann entschieden. Für eine Entscheidung, ob dieser TOP denn nun, wie vom Ausschussvorsitzenden vorgeschlagen, nicht-öffentlich behandelt werden soll, ist eine Zweidrittel Mehrheit notwendig.

Jede/r Gemeindevertreter/in, der/die…   pfff…

…, also die Gemeindevertreter, die noch am gleichen Abend einen Holsteiner Kartoffeleintopf auf dem Tisch bekommen sollen, wissen, es wird spät werden, der Eintopf kalt sein und die Gemeindevertreter sind schon darum maximal angespannt.

Der antragstellende Gemeindevertreter wird nun von den anderen dauerhaft ausgegrenzt und muss bis ans Ende seiner Tage Scrabble gegen sich selbst spielen. Man gewinnt zwar immer, man verliert gleichzeitig aber auch, schön ist das jedenfalls überhaupt nicht.

Die Frage ist also: „Wer würde sich das freiwillig antun?“

Ein Ausschussmitglied verriet mir, er könne sich nicht erinnern, dass seit 2005 auch nur ein einziges Mal ein nicht-öffentlicher TOP per Antrag zu einem öffentlichen gemacht worden wäre.

 

Am 19.01.2021 allerdings geschieht in Heikendorf die Sensation:

„Herr Ludwig Dümpelmann stellt den Antrag den Tagesordnungspunkt 13 „Beratung und Beschlussfassung über den Ankauf einer Fläche am Schloßkoppelweg“ in öffentlicher Sitzung zu beraten.“ (Zitat Sitzungsprotokoll) Statt wie vom Ausschussvorsitzenden vorgeschlagen nicht-öffentlich.

Dieser Antrag wird dann mit 6 gegen 5 Stimmen abgelehnt. Von der erforderlichen Zweidrittelmehrheit war die Ablehnung allerdings weit entfernt.
Darauf macht Herr Dümpelmann wenig später per Mail den Büroleiter Thomas Kussin aufmerksam. Der aber sieht nach Rücksprache mit der Kommunalaufsicht einen Formfehler, eigentlich hätte der Antrag nämlich anders lauten müssen. Es hätte darüber abgestimmt werden müssen, ob der ursprünglich öffentliche TOP 13 (siehe §35) stattdessen nicht-öffentlich beraten wird. Der Antrag war also falsch, insofern sei auch völlig egal, wie die Abstimmung ausgegangen sei.
Nun kann man dagegenhalten: Es ist Sache des Ausschussvorsitzenden, der für die Richtigkeit des Antrags sorgen muss, dagegen aber einen falschen Antrag entgegengenommen und zur Abstimmung gebracht hat. Insofern hat er die Sache vergeigt und jetzt muss die ganze Sitzung nochmal abgehalten werden u.s.w.u.s.f.

Nun, die Realität entwickelt sich anders, man geht auch hier mit starren Gesetzen flexibel um und stellt fest: Die Beschwerde ist abgelehnt. Punkt. Bald ist klar: Der Versuch des aufständischen und unerschrockenen Ludwig Dümpelmann war zwar ehrenwert, aber gegen die scharfen Waffen der Bürokratie zwecklos. Denn die sind darauf ausgerichtet, den Gegner durch ständige nebelhafte Formulierung undurchsichtiger Tatbestände fortlaufend zu ermüden, bis er schließlich durch Einschlafen aus dem Verkehr gezogen ist.

Ein wichtiges und bewährtes Gestaltungsmerkmal der Demokratie 4.0, mit dem Aufmüpfige und andere seltene Vögel erfolgreich zur Räson gebracht werden.

Wenn man sich diesen ganzen Wahnsinn kommunalen Provinztheaters ohne bleibende Schäden vergegenwärtigt hat, atmet man lange aus und stellt sich die Frage:

Was soll das Ganze?

Warum überhaupt und wann wird ein Tagesordnungspunkt in den nicht-öffentlichen Bereich gelegt?
Mehrere langjährige Sitzungszeugen, also politisch interessierte Bürger/innen meinen übereinstimmend: Mit Sicherheit immer dann, wenn es interessant wird.
Holen wir uns zum Abgleich dieser Aussage noch einmal unsere todlangweilige zweite Informantin von vorhin dazu: Die Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung vom 28. Februar 2003. Dort wird es in § 35 so ausgedrückt:
„…Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn überwiegende Belange des öffentlichen Wohls oder berechtigte Interessen Einzelner es erfordern…“

Ein Appell an die politische Weitsicht und Vernunft der Gemeindevertreter, weise zu entscheiden und wohlüberlegte Einzelfälle in den nicht-öffentlichen Bereich einer Sitzung zu legen.
Oder aber eine großartige Steilvorlage für jede Art von Willkür. Unter dieser Überschrift könnte man praktisch jeden TOP in den nicht-öffentlichen Bereich legen.

Kehren wir nun zurück nach Heikendorf und nehmen uns ein Beispiel. Stein des Anstoßes sind in Heikendorf häufig die nicht-öffentlichen TOP bei Sitzungen des Bauausschusses. Im Bauausschuss der Gemeinde Heikendorf heißt es lt. Aussagen eines Ausschussmitglieds zur Erklärung oft, man wolle damit „die Interessen und Daten von Privatpersonen schützen.“ Damit sind die im Gesetz verankerten „berechtigten Interessen Einzelner“ gemeint.

Das ist nachvollziehbar. Man denkt sofort an die private BIG BAU Investitionsgesellschaft mbH, die private BIG Immobilien GmbH, die private Kieler Stadthaus GmbH, die private Ostseeimmobilien-GmbH, die private ECK & OBERG Immobilien GmbH und andere Einzelpersonen, denen Heikendorf ans Herz gewachsen ist und die darum hier gerne bauen möchten. Wenn sich nun eine dieser Einzelpersonen einen quietschgemütlichen 3-stöckigen privaten Betonquader mit 8 privaten Eigentumswohnungen mit Seeblick für den Eigenbedarf baut, muss nicht jeder wissen, wie genau es dazu gekommen ist.
Und: Würden diese Themen öffentlich verhandelt werden, könnte ein x-beliebiger Bürger womöglich regulierend einschreiten. Wo soll das hinführen? Eine Regierung braucht Ruhe beim Regieren.
Gerade im Bauausschuss soll doch konzentriert mit den Steuergeldern der Bürger gehandelt und – soweit es in die Kompetenz der Kommune fällt – das architektonische Bild der Gemeinde für die Zukunft bestimmt werden.
Nicht jeder Bürger mag mit allem einverstanden sein, was im Bauausschuss entschieden wird, aber für das große Ziel, den Datenschutz und den Schutz der „berechtigten Interessen Einzelner“ nehmen die Einwohner die Entscheidungen gerne hin.

Schließlich wird seit Jahren auch den „überwiegenden Belangen des öffentlichen Wohls“ Genüge getan:
Wir finden in unseren Straßen jetzt Vorgärten ohne Wildwuchs, dafür mit wohlgeordneten, abwaschbaren Kieselsteinen, großen, grauen Betonvasen mit wachstumsgehemmtem Seegrasgestrüpp, große, graue Garagentore, die dem Auge Ruhe gönnen, pflegeleichte Fassaden, endlose versiegelte Flächen ohne Löwenzahn, riesige Panoramafenster, hinter denen betuchte Senioren wachen, in Wohnungen, die weit über 4000 Euro pro qm verkauft werden. Da stockt zwar selbst manchen Hamburgern der Atem, aber was wissen Großstädter schon von „berechtigten Interessen Einzelner“?

Auch der gern angesetzte nicht öffentliche TOP „Beratung und Beschlussfassung über den Verkauf einer gemeindeeigenen Fläche in…“ spricht für politische Weitsicht. Wenn gemeindeeigene Flächen verkauft werden, also Flächen, die den Bürgerinnen und Bürgern gehören, ist allein diese Tatsache für die Öffentlichkeit schon belastend genug. Wer will da noch wissen, wer sich die Sahnestücke zu welchem Preis unter den Nagel reißt, um darauf eine fünfstöckige Kommandozentrale mit Kegelbahn, Aromasauna und Hubschrauberlandeplatz zu bauen?
Nein, die Politik soll dafür sorgen, dass der Bürger unbelastet und glücklich sein Leben leben kann. Und das tut sie in Heikendorf. „Die Gemeindevertretung hat dafür Sorge zu tragen, dass Bürgerinnen und Bürger relaxed dem wohlverdienten Wochenende entgegensehen.“ Dies ist ein Paragraph der Gemeindeordnung, der als Grundlage vieler nicht-öffentlicher TOP herangezogen wird. Zwar hat ihn noch niemand gefunden, aber die Ausschussvorsitzenden sind sich ganz sicher, dass es ihn gibt und suchen intensiv.

Und klar ist auch: Die Begeisterung der Bürgerinnen und Bürger ist groß, betrachtet man die allgemeine architektonische Entwicklung. Besonders Meisterleistungen wie die unterschiedlich gestalteten, ihre Umgebung stolz überragenden Kathedralen mit Eigentumswohnungen und Seniorenheime des Ortes erzeugen Wohlgefallen. Kantige Schönheiten in hautfarbenem Backstein, Vertrauen erzeugende Trutzburgen gegen mögliche Luftangriffe. Vielleicht sieht sie niemand gerne an, aber viele sitzen drin und sehen gerne raus. Das gilt es zu berücksichtigen.

Der Prachtbau im Langen Rehm, der sich dort wuchtig seinen Platz geschaffen hat, keinen baulichen Zusammenhang mit der Umgebung braucht, in selbstbewusster Fertighausästhetik steht er da, verbreitet gelblich-braunen Optimismus, frei von Grün, mit traumhaften, weiten Parkplatzflächen umgeben, kein Strauch trübt unseren Blick, hier kommt man gerne und fährt noch lieber wieder fort, mit einem Gefühl der Leichtigkeit, froh, nicht in der Nachbarschaft zu wohnen oder womöglich gegenüber. Es gibt nur wenige Parkhäuser, die mehr einladende Gemütlichkeit verbreiten. Selbst der Name des Seniorenheims ist wohl gewählt: Rehmgarten. Jeder, der seinen Blick kurz auf dem Gebäude ruhen lässt, hat augenblicklich Sehnsucht nach einem Garten.
Es gab weitere Namen, die zur Auswahl standen: Rehmklotz, Rehmbunker, Rahmgraben und Befehlszentralleitstelle Rübengarten. Da fiel die Wahl nicht schwer und man hat zweifellos richtig entschieden.
So sieht man immer wieder fröhliche Bewohner, die mit Spitzhacke, Presslufthammer, Dampframme, und anderem schweren Gerät anrücken und nicht aufgeben, ihrem Rehmgarten ein Pflänzlein zu entlocken.
Es soll hier sogar einen noch schöneren Alternativentwurf gegeben haben, doch zu viel Schönheit und Kultur will man dem Heikendorfer eben auch nicht zumuten. So erhielt hier das schon oft bewährte Gespann von Architekt und Bauherr den Zuschlag, das schon an vielen anderen Stellen den Ort so positiv geprägt hat.

Und eben dieser Bauherr führt uns auf unserem kleinen Rundgang zum nächsten architektonischen Kleinod unserer Gemeinde:

Den neu entstandenen freundlich-leichenweißen Wohnschachteln aus Fertighauspappe am Ortseingang. Sie erfreuen schon von weitem als erster schmuckloser und zutiefst sauberer Gruß das Herz des Gastes, der hier in Heikendorf Erholung sucht. Der noch vor kurzem traurige, der wilden Natur überlassene Mühlenteich fügt sich nun endlich auch in das moderne, zeitlose Ambiente von sozialgerechter Familienarchitektur. Der Nachbar konnte bis vor kurzem jeden Morgen einen frohen Blick aus dem Fenster in den Himmel werfen. Aber nur allzu oft ward er von der Sonne grell geblendet! Nie wieder. Nun spendet eine kirchturmhohe weiße Wand ihm Schatten. Ganz ohne Zusatzkosten.
Klare, ruhige Linien, freundlich farblose Fassaden und glatte, wartungsarme Blechdächer zeigen dem Besucher, dass in unserem Ort mit der Zeit gegangen wird.  Preiswertes Wohnen ist Teil des Sozialkonzepts, auch hier darf es sich die bedürftige Familie für unter 5000 Euro den Quadratmeter bequem machen. „Wohnen mit Seeblick“ wird das Ensemble beworben (1). Zeitnah wird darum der Mühlenteich in Mühlensee umbenannt werden, um dem Anspruch auch gerecht zu werden. Ein großer Wurf.
Sehen wir hier vielleicht bald in Ergänzung ein Spaßbad mit Riesenrutsche und schönen, sauberen Parkplätzen, die die schmutzigen Reetbewüchse am Ufer ersetzen?

Indes gehen sie spazieren: Freundliche Menschen, die an der Spitze unserer Gesellschaft stehen, gut gekleidet, umgeben vom Duft nach Cartier. Sie klingeln an den Türen unserer Nachbarn und fragen lächelnd: „Möchten Sie vielleicht verkaufen?“ Menschen, die sich auskennen mit Bau- und B-Plänen, mit § 34 und § 35 BauGB, mit GRZ und GFZ, sich ergebenden Formeln von 0,3/0,5 und wissen, was sie zu bedeuten haben. Sie kennen sich aus mit dem Verhältnis zwischen Grundfläche, Geschosszahl und Wohnraum. Kennzahlen, die nichts mit Architektur zu tun haben oder mit der Zukunft sozialer Gemeinschaften, mit Plätzen der Begegnung, dafür viel mit Geld.

Dem Gast strahlt schon bald der neue Claim unseres Ostseebads entgegen:

 

„Wohnen wie in Mettenhof – nur teurer.“

 

Ganz in diesem Sinne gedeiht auch die Planung für die Wohnanlage am Schulredder. Hier sollen 7 ausladende, quaderförmige Wohnblöcke mit insgesamt 70 Wohneinheiten und Tiefgarage entstehen. Ziel: Die zukünftigen Bewohner sollen ohne Fremdkontakt zu ihren Wohnungen gelangen können. Zur Seite der Straße Wiesenkamp wird auch hier eine schattenspendende Mauer von ca. 10,5 Meter Höhe entstehen. Wieder ohne jegliche Zusatzkosten für die Anwohner.

Zauberwort bei den Planungen ist der Begriff bauliche „Verdichtung“, der künftig Grundlage für alle Bauvorhaben sein soll. Durch innergemeindliche „Verdichtung“ vermeidet man, weitere Grünflächen am Ortsrand zu erschließen, ein Argument, das alle Parteien begeistert unterstützen. Sogar Naturschutzverbände inkl. BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland) haben keine Einwände mehr, sobald sie die hypnotische Wirkung des Zauberworts „Verdichtung“ erfahren dürfen. Praktisch: Durch den narkotisierenden Effekt des Wortes fragt keiner mehr nach der individuellen Umsetzung einer „Verdichtung“. So ist es künftig möglich, die gesamte Ortschaft abzureißen und 10-stöckig wieder hochzuziehen.
Die „Verdichtung“ liegt, wie ständig und immer wieder und mehrmals am Tag und dann nochmals wiederholt betont wird, im Interesse der Allgemeinheit, die aber sicherheitshalber vorher nicht gefragt worden ist. Speziell nicht nach ihrer Meinung zur Art und Weise der „Verdichtung“.
Ein schöner Nebeneffekt: Insgesamt wird damit die Zusammenarbeit zwischen Investoren und Gemeinde weiter harmonisiert.
Die Pläne für die Wohnquader am Schulredder sollen direkt aus der Heilanstalt für durchgedrehte Stadtplaner in Bad Prahlhansel entstanden sein und jetzt zügig umgesetzt werden. Sie sind Ergebnis jahrelanger Erfahrung im erfolgreichen Programm „Entsozialisierter Ghettobau“, der das Ziel hat, Rand- und Landgemeinden zu reinen Schlafstädten umzufunktionieren. Kontakte unter Nachbarn und Dorfbewohnern werden durch geschickte Bauplanung konsequent vermieden, das Leben anonymisiert, Einkäufe in die Gewerbegebiete der Städte geleitet. Ergebnis: Die Menschen haben mehr Zeit zum Fernsehen.

Insgesamt ist man begeistert von dem Konzept „Verdichtung“. Man denkt darüber nach, auch die Kommunalpolitik in einer einzigen Partei zu „verdichten“: Das „Bündnis CDUSPDGrüneFDP“. Naheliegend, da es kaum noch Interessenkonflikte gibt und die Abstimmungsergebnisse bei den Gemeindevertretersitzungen ohnehin weitgehend homogenisiert sind. Einzelne Stimmen, die außerhalb der Mehrheitsmeinung liegen, werden in Zukunft dann im simplifizierten Verfahren „entdichtet“. Zugegeben: Unangenehm für die Betroffenen, dagegen angenehm für die Allgemeinheit, in deren Interesse man handelt.

Im vorliegenden Bauprojekt Schulredder (Bebauungsplan 61 der Gemeinde Heikendorf) wurde diese politische „Verdichtung“ schon erfolgreich umgesetzt. In einem „verdichteten Entscheidungsverfahren per Amnesie“ konnten Vertreter fast aller Parteien (CDU, SPD, FDP, Grüne) zeitgleich vergessen, dass sie sich nachweislich noch vor kurzer Zeit geschlossen gegen das besagte Projekt geäußert hatten. Stattdessen äußern sie sich jetzt geschlossen dafür – dank „mentaler Neuverdichtung“ und selbstverständlich im Interesse der Allgemeinheit. Nur die beiden Vertreter der UWH stimmen dagegen und werden wohl bald der erwähnten “Entdichtung” unterzogen.

Wann, wie und wo hat diese Neuverdichtung stattgefunden? Da die Öffentlichkeit nicht informiert wurde, ist davon auszugehen, dass sie während eines nicht-öffentlichen TOP bei einer Bauausschusssitzung vonstatten ging. Vielleicht hatte man bei einem Bierpong-Turnier mit dem Investor um eine Projektentscheidung gespielt und ist vernichtend untern Tisch getrunken worden? Wir werden es nie erfahren.

Allerdings: Zwei Punkte könnten die Realisierung des Projekts jetzt noch verzögern:

1. Die Grünen möchten durchsetzen, dass ein, zwei Bäume auf der weitgehend pflanzenfreien Fläche angepflanzt werden: Als Zeichen der wachsenden und gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen Investoren und Politik. Damit wäre die Partei auch – zumindest hier in Heikendorf – ganz nah an der Verwirklichung ihrer Ideale einer friedlicheren Welt, die sie im Jahr 1993 bei ihrer Gründung im Blick hatte.

2. Es geht das Gerücht, der Ausschussvorsitzende hätte sich als leidenschaftlicher Befürworter des Projekts im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung etwa dahingehend geäußert:
Boh, diese ganze Anlage ist einfach sowas von krass! Das is so fett und mal maximal hippo. Wisst ihr was? Ich fänd es richtig wild, wenn der Klops gar nich beim Schulredder steht, sondern wenn der mir vor die Terrassentür geknallt wird. Leute, das ist premium! 10einhalb Meter, WTF, was geht, Gönnung, Alter! Damit kann ich volle Lotte rumflexen! Ich hab eh viel zu viel Sonne auf m Grundstück, das nervt seit Jahren extremst. Sheesh!

Nun ist bekannt: Die Politik unternimmt Einiges, um den längst verlorenen Kontakt zur Jugend wiederherzustellen. Aber Insider sind sich sicher: Ganz gewiss nicht der Heikendorfer Bauausschuss, schon gar nicht der Ausschussvorsitzende und wenn überhaupt, dann nicht in dieser Form!
Auch wenn man nicht weiß, was in nicht-öffentlichen TOP vor sich geht, so ist eine solche Äußerung des Ausschussvorsitzenden doch vollkommen unwahrscheinlich. Dagegen scheint es so gut wie sicher, dass er sehr gerne Sonne auf seinem Grundstück hat und befürwortet, dass nicht ihm, sondern den Anwohnern am Wiesenkamp die 10einhalb Meter Mauer vor die Terrassentür geknallt wird.

Nun, wir werden sehen, wie sich die Angelegenheit weiterentwickelt und demnächst an dieser Stelle berichten. Mit Bauplänen, Stellungnahmen und Interviews mit der oft zitierten Allgemeinheit.

Den Kritikern dieser Projekte sei aber jetzt schon gesagt: Wer in Heikendorf blühende, üppig wuchernde Natur, alte Bäume und Parkanlagen bevorzugt, kommt nach wie vor auf seine Kosten: Er ist herzlich eingeladen zu einem ausgedehnten Spaziergang auf dem Friedhof.

Ein Spaziergang, den man genießen sollte. Denn vielleicht wird insgeheim auch hier schon über eine „Verdichtung“ nachgedacht? Man hat schon einmal vorgefühlt: Mit Einwänden der betroffenen Bewohner ist nicht zu rechnen.

Die Frage ist: Wäre all das möglich gewesen ohne nicht-öffentliche TOP bei Sitzungen?

Wohl kaum.

Sie sind gleichzeitig auch der Ursprung von Gerüchten, die für unser Zusammenleben in der Gemeinde so wichtig sind, die Phantasie beflügeln und schon aus diesem Grund von der Politik gefördert werden. Die Bürger/innen treffen sich, man tauscht sich aus und diskutiert – über spannende Fragen wie:
Sind die nicht-öffentlichen Sitzungen nicht eine hervorragende Quelle für Information und Vernetzung? Wo sitzt der Politiker näher am Puls der Zeit, erfährt unmittelbar, wer wo was erschließt, plant und baut, zu welchem Preis, wo ist Gewinn zu machen, was lohnt sich, was eher nicht? Wer sollte gefördert, wer mit Handschlag begrüßt, wer übersehen und überhört, notfalls zurechtgewiesen werden? Auf welche Grundstücke sollte man die Hand legen, Optionen buchen?

Die Heikendorfer Politik weiß: Der Bürger liebt es, über Gerüchte zu sprechen, lehnt es dagegen ab, an wichtigen politischen Fragen selbst beteiligt zu werden. Er kann dieser Verantwortung auch nicht gerecht werden, vertraut dagegen blind seinen Vertreterinnen und Vertretern. Zu Recht.

Das alles sind gute Gründe für die schöne Tradition der nicht-öffentlichen TOP, die zuweilen schon die Hälfte aller TOP einer Sitzung ausmachen. Auch wenn die Gemeindeordnung grundsätzlich sagt: „Die Sitzungen der Gemeindevertretung sind öffentlich.“ Das Ziel sollte sein, flexibel zu denken, agil zu arbeiten, Träume zu haben und die bewährte nicht-öffentliche Ausnahme vielleicht sogar bald zur Regel zu machen.
Der Sitzungsplan ist schließlich ein Ergebnis jahrzehntelanger Planung und Erfahrung und hat sich hervorragend bewährt:

  • Unter TOP 1 wird traditionell einstimmig die vorgeschlagene Tagesordnung genehmigt. Der Meinung und den Vorschlägen des Ausschussvorsitzenden / Bürgermeisters ist überparteilich zu folgen („Meinungsverdichtung“)
  • Bei Gemeindevertretungssitzungen gibt es unter TOP 2 eine Einwohnerfragestunde. Hier dürfen Einwohner zu allen möglichen Themen ihre Fragen stellen. Nur nicht zu den wichtigen. Die werden nämlich erst NACH der Fragestunde behandelt.
  • Nachfolgende Tagesordnungspunkte können so in konzentrierter Atmosphäre von den Gemeindevertretern beraten und entschieden werden – ohne die störenden Fragen der Einwohner.
  • Die Einwohner dürfen frühzeitig nach Hause gehen. („Freizeitverdichtung“)
  • Besonders interessante Fragen werden anschließend nicht-öffentlich behandelt und zügig entschieden. („Entscheidungsverdichtung“)

Wird jedenfalls vermutet. Genaues weiß man nicht. Die Ausschussmitglieder/Gemeindevertreter sind über genauen Inhalt und Ergebnis der nicht-öffentlichen Sitzungen – wie gesagt – zu absolutem Stillschweigen verpflichtet.

Vielleicht wird im Verborgenen auch gar nicht die harte Politik verhandelt, sondern es stehen ganz andere Programmpunkte auf der Tagesordnung. Es wäre aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sogar überaus begrüßenswert. Denn in dem folgenden Punkt ist man sich einig, wie ein Heikendorfer sagt:

„Also, wenn ich bedenke, was sie da für eine Einstellung zur Demokratie haben. Da möchten wir gar nicht, dass die über Baugrundstücke und Steuern entscheiden. Buchstabier-Wettbewerb, Eierlaufen oder Sackhüpfen wäre da auf jeden Fall besser. Vielleicht auch eine Stunde Gemeindevertreter-Akrobatik. Flik-Flak, Poledance, Schleuderbrett, Kopfstand, so was in der Art. Wäre nicht schlecht, wenn sie die Welt mal aus einer anderen Perspektive sehen.“

1 Quelle: https://www.ostsee-gmbh.de/projektentwicklung/projektbeispiele/wohnen-in-heikendorf-mit-seeblick/